Wallace & Gromit & Nick -
ein Leben in Knetgummi




Mitten in Bristol steht ein rotbraunes Lagerhaus an der Rerry Road. In dieser ehemaligen Bananenhalle arbeitet der einzige Regisseur der Welt, dessen Filme alle für den Oscar nominiert wurden: Nick Park. Er macht in Knetgummi, wie er selber sagt. Nick ist schüchtern, hat nicht mehr alle Haare auf dem Kopf und immer komische Sachen an. Er ist 37 Jahre alt und knetet seit 14 Jahren Großbritanniens berühmteste Filmstars Wallace & Gromit für die Aardman Animation Studios. Alles fing damit an, als die beiden Kunststudenten Peter Lord und David Sproxton 1972 die Aardman Animation Studios gründeten. Während der Zeichentrick sich langsam auf Spielfilmlänge aufplusterte, spezialisierte sich Aardman auf die Kunst der Modellanimation. Den ersten Durchbruch hatten sie mit der Knetgummifigur Morph. Die Serie "The Amazing Adventures of Morph" sah auch der damals 16jährige Nick Park auf BBC und das veränderte sein Leben. Schon seit ein paar Jahren zeichnete Nick Trickfilme und nahm sie mit der alten Kamera seines Vaters auf. Nach seiner "Morph"-Erfahrung begann er, kleine Monster zu kneten und zu animieren. Nick wollte jedoch mehr. Er träumte von einem richtigen Spielfilm mit Story, Drehbuch, Regisseur, Sprecher und all' dem, nur eben mit Knetfiguren.
Und so drehte er seinen ersten "Wallace & Gromit" Film. Die beiden Gestalten hatte sich Nick eigentlich für ein Kinderbuch ausgedacht, aber nun gurkten der spießige Erfinder Wallace und sein schlauer Hund Gromit mit einer selbstgebauten, knallroten Rakete zum Mond, um dort Käse zu holen, denn jeder weiß doch, daß der Mond aus Käse besteht, nicht? Wallace ist 23 cm groß und ein typischer Nordengländer, der alles mögliche in seinem Schuppen selber baut. Gromit, sein Knethund, ist eigentlich viel schlauer, an ihm bleibt jedoch immer die Drecksarbeit hängen. Nick drehte diesen Film, den er "A Grand Day Out nannte", während seines Studiums an der National Film & Television School. Dort wurden auch die beiden inzwischen renommierten Aardman Gründer Lord und Sproxton auf ihn aufmerksam, als sie einen Vortrag an der Schule hielten. Nick jobbte dann bei Aardman, um sein Studium zu finanzieren und durfte "A Grand Day Out" in Bristol fertigstellen. Er fertigte von den Kohlköpfen in Wallaces Vorgarten bis zur Rakete alles selbst und brauchte ein Jahr, um eine Seite des Drehbuchs zu verfilmen. 1989, nach sieben Jahren, war der Film endlich fertig. "Grand Day Out" wurde zusammen mit Parks ebenfalls 1989 gedrehtem Film "Creature Comforts" für den Oscar nominiert, den jedoch letzterer gewann.
Auch Parks zweiter längerer Film "The Wrong Trousers" (Die Techno-Hosen) wurde 1994 für den Oscar nominiert, den er ebenfalls gewann. Die Videocassette zu diesem Film ist mittlerweile in England das meistverkaufte Video aller Zeiten. Bis heute hat das Aardman Studio über hundert Preise gewonnen, die ihr Dasein in der Küche fristen. Das kulturbeflissene zweite Programm der BBC gibt seit Jahren regelmäßig bei Aardman Animation Kunststücke in Auftrag.
Wallace und Gromit brechen jedes Jahr zu Heiligabend die Einschaltqoten-Schallgrenze. Von den 47 Prozent, die sie locker erreichen, kann man hier in Deutschland nur träumen. Nach diesem Erfolg melden sich immer mehr Firmen, die im Sog von Wallace & Gromit Geld verdienen möchten. Disney wünscht sich eine Zusammenarbeit und die Werbeindustrie möchte die beiden Figuren aus Knete kaufen. Doch Nick und die anderen wollen sich nicht verkaufen. "Es dreht sich alles nur noch um's Geld. Die Seele des Ganzen bleibt auf der Strecke, und es wollen immer mehr Leute Einfluß ausüben."
Wenn sich Nick mit jemandem unterhält und ein Stück Plastillin in der Hand hat, beginnt er Sachen zu kneten, meistens vierfingerige Hände, manchmal auch Füße. Er ist Modellanimateur, Regisseur, Drehbuchautor und einer der Direktoren von Aardman und hat ein Faible für Details. Er baut in seinen Filmen mit Vorliebe Namen oder Telephonnummern von Freunden ein. Oder Gromit liest ein Buch mit dem Titel "Crime an Punishment" von Fido Dogsdoefsky und wenn Wallace und Gromit die quietschrote Rakete zusammenschweißen, sprühen echte Funken. Modellanimateure müssen die Ruhe weg haben. Nichts ist automatisch, Computer stehen höchstens in der Buchhaltung. Kleine Knetgummimännchen zu bewegen heißt, ein Leben in Zeitlupe zu führen. Für Parks neuen Film "A Close Shave" (Unter Schafen), der ab Mitte März bei uns in den Kinos läuft, wurden vier Millionen Mark verpraßt und durchschnittlich drei Sekunden Film am Tag geschafft, den 24 Bilder ergeben gerademal eine Filmsekunde; und winzigste Bewegungsabläufe werden in allerkleinste Bildsequenzen aufgesplittet. 13 Monate arbeitete eine Crew von dreißig Leuten insgesamt an dem Meisterwerk, das wieder einmal für den Oscar nominiert ist. Doch mit Wallace und Gromit soll bald schluß sein, sagt Park. Er arbeitet schon seit 14 Jahren ununterbrochen mit dem Duo, nun will er was anderes machen. Vielleicht räumt er endlich mal seine Umzugskartons aus, die in seiner kleinen, ungemütlichen Wohnung schon seit sechs Jahren in der Ecke stehen.

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